Eberhard Ref
Cornelie Stursberg
eine Rückwanderung aus Nordamerika nach Deutschland
Meine Urgroßmutter Cornelie Wilhelmine Stursberg, verheiratete Mann, stammt aus der alteingessenen Familie Stursberg aus dem Bergischen Land.
Stursberg ist ein Stadtteil des Stadtbezirks Lüttringhausen in der Großstadt Remscheid. Zu den Wohnplätzen in dem Stadtteil zählen die namensgebenden Hofschaften Stursberg I, Stursberg II und Stursberger Höhe. In der Lüttringhauser Lehnrolle von 1350 ist zum ersten Mal genannt „das nechste Stuirß Bergh bey dem Wiedenhofe“. Als Stammvater der vom Landgut Stursberg I ausgehenden Namensträger wird der um 1400 geborene Winold von Stursberg genannt 1.
Von ihm ausgehend verläuft die genealogische Linie zu Karl August Stursberg, dem Vater unserer Protagonistin. Karl August Stursberg, (geb. am 2.4.1819 in Lennep - † 4.7.1901 Bonn, beerd. in Ebertsheim) war zunächst Tuchfabrikant in Lennep. Er hatte nach dem Tod der ersten Ehefrau am 13.9.1860 in zweiter Ehe in Herne Mathilde Schmidt (23.4.1831 Wesel - † 28.6.1905 Bonn, beerd. in Ebertsheim) geheiratet, die nach dem geschäftlichen Niedergang ihres Vaters Tobias Friedrich Schmidt (13.9.1803 Mainz - † 13.12.1899 Boppard, Tuchhändler in Wesel, später Rentner in Boppard), sich um eine eigene Existenz bemüht hatte. Sie war Lehrerin geworden und unterrichtete an einer Privatschule in Lennep 2.
Abb.:
Karl August Stursberg und Mathilde Schmidt (Familiengeschichte Mann, Teil II, E-9)
Das älteste Kind Cornelie Stursberg (geb. 26.8.1861 Lennep) wurde nach seiner Großmutter Cornelie Jorissen (1.12.1804 Amsterdam - † 3.5.1866 Gevelsberg, Tochter von Johannes Jorissen, Kaufmann in Amsterdam und Huberta Kleynhof van Enspyck), auf den Namen Cornelie getauft 3.
Abb.:
Tobias Friedrich Schmidt und Cornelie Jorissen (Familiengeschichte Mann, Teil II, E-8)
Cornelie Stursberg hat nur die ersten drei Jahre ihres Lebens im Bergischen Land verbracht. Denn 1864 brachten die Folgen des nordamerikanischen Bürgerkriegs eine große Veränderung für die Familie. Hohe Zollerhöhungen in den USA gefährdeten den Export der Stursberg'schen Tuchfabrik und man beschloß deshalb, einen Teil der Produktion in die USA zu verlegen. Karl August Stursberg und seine drei Brüder, die seit dem Tod des Vaters Johann Wilhelm Stursberg (auch Stosberg, 25.11.1789 Lennep - † 30.12.1858 Lennep, Bäcker und Gastwirt im „Schwarzen Adler“ in Lennep, später Tuchfabrikant 4) unter der Oberleitung ihrer energischen Mutter Wilhelmine Stursberg geb. Schmitz (26.4.1788 Lennep - † 29.4.1887 Lennep), im Unternehmen arbeiteten, fanden Gelegenheit zum Ankauf einer Tuchfabrik in Holyoke, Massachusetts, der „Germania Mills“. Albert Stursberg, bisher im Berliner Kontor der Firma beschäftigt, wurde als Leiter des neuen Betriebes bestellt, behielt sie aber nur kurze Zeit, da sich seine Frau nicht in den USA einleben konnte. So fiel die Leitung der Firma an August Stursberg 5. Ende 1864 wanderte er mit seiner Familie mit dem Auswandererschiff „Hammonia“ nach Nordamerika aus. Die Fahrt dauerte 14 Tage 6.
In der großen und weitgespannten Familie der Stursberg ist der Lenneper Zweig der einzige gewesen, der nach 1850 eine ganze Gruppe von Auswanderern gestellt hat. In seiner engeren Familie war August Stursberg der dritte, denn sein Bruder Hermann Stursberg war schon vor dem Sezessionskrieg im New Yorker Verkaufskontor tätig. Und schon vor ihm waren drei Vettern, Söhne des Lenneper Bäckermeisters Anton Stursberg, nach Amerika ausgewandert. Die Spur von Robert und Julius Stursberg verliert sich dort. Der dritte, Ludwig Stursberg, war Farmer in Utah. Er ist dort als „Louis Strasburg“ gestorben (19.8.1835 Lennep - † 6.12.1909 Tooele/Utah) 7 und hat den veränderten Familiennamen an eine große Nachkommenschaft weitergegeben 8.
Die Germania Mills 9 in Holyoke hatte ihren Namen schon, als die Brüder Stursberg den Betrieb kauften; die Firma ist, wie der Name zeigt, eine deutsche Gründung. Das Werk beschäftigte 600 Arbeiter. August Stursberg brachte aus der Heimat mehrere Fachkräfte mit und konzentrierte die Produktion auf diejenigen Tuchsorten, die schon in Deutschland erzeugt worden waren: Buckskin, Biber und Kaschmir. Ein ansehnlicher Teil der Belegschaft war deutsch und wohnte zusammen in einem Straßenblock in der Nähe der Fabrik 10. Es scheint, als sei die Familie von Albert Stursberg die erste gewesen, die einen größeren deutschen Beitrag zur Kultur von Holyoke geleistet hat. Cornelie Stursberg hat ihre Erinnerungen an den Lebensabschnitt in den USA als alte Frau 1927 aufgezeichnet 11.
Die Familie lebte die ersten drei Jahre im einzigen Hotel der Stadt, „Holyoke Hause“. Hier war 1865 ihr Weihnachtsbaum eine Sensation und der Anstoß zur Einführung des deutschen Christfestbrauchs im ganzen Ort. Die zweite Errungenschaft, die Holyoke der Frau Mathilde Schmidt, verh. Stursberg, verdankte war der Hausschlüssel. Als August Stursberg im deutschen Block ein geräumiges Holzhaus mit großem Garten für seine Familie bauen ließ, weigerte sich seine Frau einzuziehen, wenn kein Schloß an die Haustüre käme. Bisher hatte in der Stadt kein Wohnhaus verschließbare Türen gehabt. Die Neuerung machte Schule, als kurz danach in einem Vorort nachts ein Haus ausgeraubt wurde 12.
Bedeutender ist der Rückhalt gewesen, den August Stursberg seinen Landsleuten in Holyoke gegeben hat. Er fühlte die Verantwortung, alle seine Arbeiter, vornehmlich die deutschen und „des Glaubens Genossen“, auch geistlich zu betreuen. Dadurch kam in das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer ein patriarchischer Zug. In den“General Regulations“ für die Fabrik, die 1866 gedruckt wurden, heißt es: „Gute Moral und Teilnahme am Gottesdienst werden als wesentlich angesehen, und niemand wird beschäftigt werden, dessen Haltung in dieser Beziehung zu wünschen übrig läßt“ 13. Für die deutschen Protestanten ließ August Stursberg zunächst alle sechs Wochen eine Reiseprediger aus Boston zu einem deutsch-evangelischen Gottesdienst kommen. Dann kaufte er ein Grundstück und errichtete darauf eine hölzerne Kirche mit Gemeindesaal und Pfarrhaus, die heutige First Lutheran Church. Ständige Pfarrer stellte ein deutsches Predigerseminar im Staat New York. August Stursberg hat alle Kosten getragen und später der Kirchengemeinde das Grundstück geschenkt und noch aus dem Ruhestand in Deutschland das Pfarrergehalt überwiesen 14.
Photo:
The First Lutheran Church in Holyoke, today at Northampton Street (wikipedia)
Cornelie Stursberg fühlte sich in diesen Jahren mehr als Amerikanerin denn als Deutsche, obwohl ihre Verbindung mit dem Vaterland sich nicht auf die wenigen Erinnerungen als Dreijährige in Lennep beschränkte. Die Familie seit der Auswanderung mehrmals in Deutschland gewesen, zuerst 1869. Die Kinder, Cornelie als Achtjährige, waren damals ein halbes Jahr beim Großvater Tobias Schmidt in Boppard gewesen. Die Tante Therese Schmidt, bisher als Erzieherin in England tätig, entschloß sich, mit der Familie nach Holyoke zu gehen und dort den Unterricht der Kinder in Deutsch und Englisch zu übernehmen. Zuhause durfte nach strenger Anordnung des Vaters nur Deutsch gesprochen werden. Cornelie kam für fünfeinhalb Jahre in dier städtische Grammar School, dann nach einer zweiten Deutschlandreise in die High School. Sie war Primanerin mit Kenntnissen in Latein, Griechisch und Französisch und sprach fließend Englisch und Deutsch 15 und beabsichtigte nach Absolvierung der High School für vier Jahre auf die Frauenuniversität Smith College in Northampton zu gehen, wo sie 1879 das Studium aufnahm 16.
Als 17jährige lernte sie einen jungen Arbeiter, Eduard Mann aus Grünstadt kennen, der seit einiger Zeit in der Holyoke Paper Co. tätig war. Eduard Mann war nach Holyoke gekommen, um seine Ausbildung zum Papiermacher nach einer Lehrzeit in Speyer, praktischer Tätigkeit in Aschaffenburg und dem Züricher Polytechnikum abzuschließen. Eduard Mann sollte anschließend die väterliche Papierfabrik in Ebertsheim übernehmen. Cornelie Stursberg und Eduard Mann verlobten sich inoffiziell am 22.2.1879.
Jetzt aber änderten Schicksalsschläge die Geschicke der Familie. August Stursberg d. Ä. hatte als seinen Nachfolger in der Fabrik ursprünglich seinen ältesten Sohn Heinrich (geb. 1846) vorgesehen. Aber dieser war 1876 unheilbar geisteskrank geworden. Für ihn kam sein Bruder August Stursberg d. J. in die Germania Mills, vertrug sich aber nicht mit den Teilhabern seines Vaters, den Stursbergs aus New York. Er ging als Direktor einer Tuchfabrik nach Kanada, starb aber schon im Februar 1880. Sein Tod zerstörte die Zukunftspläne seines Vaters. Ein weiterer Stiefbruder von Cornelie, Fred Stursberg (geb. 1855) hatte vor kurzem in Boston ein eigenes Wollgeschäft eröffnet und wollte nicht nach Holyoke zurückkehren. So verlor August Stursberg den Mut zu weiterer Tätigkeit in den USA und entschloß sich, nach Deutschland zurückzukehren. Den Betrieb in Holyoke trat er an seinen Bruder Hermann Stursberg ab. Anfang Juni 1880 verließ die Familie die USA und kehrte nach Deutschland zurück, wo sie zunächst in Lennep, später in Bonn wohnte. Dort kam der kranke Sohn in eine Heilanstalt, wo er 1902 gestorben ist 17.
Cornelies Verlobter, Eduard Mann, hatte mit dem gleichen Schiff nach Deutschland zurückkehren wollen, war aber telegraphisch vorzeitig abberufen worden, da sein ältester Bruder Heinrich Mann in Grünstadt schwer am Nervenfieber erkrankt und die Ebertsheimer Papierfabrik ohne Führung war. Dieser war aber so schnell genesen, daß Eduard Mann sofort nach seiner Ankunft nach Kopenhagen reisen konnte, um eine Papierfabrik als Sachverständiger zu beraten. Er konnte dann die Familie Stursberg bei der Ankunft in Hamburg begrüßen.
Die geplante Eheschließung zwischen Cornelie Stursberg und Eduard Mann kam zunächst nicht zustande. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Ebertsheim 1880 entsprachen in keiner Weise denjenigen, welche Cornelie Stursberg in Holyoke verlassen hatte. Das Wohnhaus war noch klein und unmodern, zudem war die Papierfabrik Ebertsheim belastet durch Verluste, die der Familie Mann durch die Insolvenz der Frankenthaler Maschinenfabrik Goehring entstanden waren, an der die Familie Mann beteiligt war. Eduard Mann, der die bisher von seinem Bruder ohne spezielle Fachkenntnisse verwaltete Papierfabrik inzwischen übernommen hatte, hoffte, sein künftiger Schwiegervater werde ihm zu dem Kapital verhelfen, das zum Ausbau der kleinen Papierfabrik erforderlich war. Aber August Stursberg lehnte nach einem ersten Besuch 1881 jede Hilfe für das Unternehmen ab; es erschien ihm doch allzu unbedeutend 18.
Dieses Urteil war auch der Grund dafür, daß Cornelies Eltern noch immer Bedenken gegen eine baldige Heirat ihrer Tochter hatten. Nach 5jährigem Brautstand erhielt sie endlich die Zustimmung der Eltern zur Heirat. Die Hochzeit fand am 6.5.1884 in Bonn statt. August Stursberg hatte sich durch die Tatkraft und Umsicht von Eduard Mann von der wirtschaftlichen Zukunft der Papierfabrik in Ebertsheim überzeugen lassen. Er trat 1887 als Teilhaber in die jetzige Papierfabrik „Ed. Mann & Co.“ ein. Seine Finanzhilfe brachte der Firma kräftigen Aufschwung. Eduard Mann konnte die Papiermaschine erweitern und den Jahresumsatz bis 1914 auf das Vierzehnfache steigern. Das Unternehmen wuchs zu einem mittelständischen Betrieb heran, das seine Waren bis nach China verkaufte und zeitweise bis zu 70 Mitarbeiter beschäftigte 19. Das zur Papierfabrik gehörige Wohnhaus wurde in gründerzeitlichem Stil als „Villa Cornelie“ neu errichtet.
Photo:
Haus Cornelie in Ebertsheim
Aus der Ehe von Eduard Mann und Cornelie Stursberg stammen fünf Töchter und der Sohn Leonhard Mann. Über die Tochter Therese Mann führt die genealogische Linie zum Autor dieser Zeilen.
Photo:
Eduard und Cornelie Mann (an der Bilderwand bei mir)
1Stursberg, Ernst Erwin: 600 Jahre Stursberg – Aus der Geschichte einer bergischen Familie (Stammesverband Stursberg 1963); Fink, August: Die Geschichte der Familie Mann. Eduard Mann und Cornelie Stursberg, ihre Vorfahren und Nachfahren (Wolfenbüttel 1961, überarbeitet von Albrecht Stein, Obernkirchen 2006), Teil 2, Textteil, S. 23.
2Fink: Geschichte Mann, Teil 2, Textteil, S. 38.
3Fink: Geschichte Mann, Teil 2, Anhang, C-56.
4Fink: Geschichte Mann, Teil 2, Anhang, C-54.
5zu Stursberg s. auch Wiesinger, Gerhard: „Die deutsche Einwandererkolonie in Holyoke, Massachusetts, 1865-1920, Revision of the author's thesis (doctoral) Ludwig-Maximilians-Universität, 1989, S. 19, 26, 29, 32-36, 49, 64-75, 82-85, 88-90, 102-103, 109, 111, 114, 115, 187, 199, 210, 211, 288, 318.
6Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 39-40.
7Photo des Grabstein auf dem Tooele City Cemetery, Tooele, Tooele County, Utah bei findagrave.com, Abruf 15.9.2024.
8Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 40.
9Abb. bei Johnson & Dyer, engravers; Clark W. Bryan and Company, publishers - The City of Holyoke: Its Water Power and Its Industries (Holyoke 1876), p. 13
10Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 40.
11Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 40; Jugenderinnerungen von Cornelie Mann : Maschinenschrift von 1927, in der Familie verteilt.
12Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 40.
13Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 40.
14Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 41.
15Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 42.
16Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 43.
17Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 44.
18Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 44-45.
19Fink: Geschichte Mann, Textteil, S. 45-46; .Ref, Eberhard: Von Mühlen und Müllern in Ebertsheim; in: Pfälzisch-Rheinische Familienkunde 2020, S. 369-392; Ref, Eberhard: Die Geschichte der Papierfabrik Ed. Mann & Co. in Ebertsheim bis 1975; in: Gemeinde Ebertsheim: Festschrift 1250 Jahre Ebertsheim, 2015
[Autor: Eberhard Ref, Sebastian-Bach-Str. 12, 67061 Ludwigshafen, E-Mail: eberhard.ref@gmx.net]