Eberhard Ref
Die Hinrichtung des Mörders Asmus Gottschalck aus Enkenbach anno 1613,
oder
„..... ja so ein guter Pfalzwein ...“
(Erstveröffentlichung Pfälzisch Rheinische Familienkunde, 62. Jg., Band XVII, Heft 10 (2013), S. 561-571)
Ein ansehnliches Aktenbündel im Landesarchiv Speyer1 „Inquisitions Acta den zu Hochspeyer justificirten Moerder und Straßenräuber Aßmus Gottschalck von Enkenbach“ betreffend, berichtet ausführlich von einem in Hochspeyer im Jahr 1613 durchgeführten Strafgerichtsverfahren und der anschließenden Hinrichtung des aus Enkenbach stammenden 22jährigen Asmus Gottschalck. Das Gerichtsverfahren bietet neben einem rechtshistorisch aufschlußreichen Einblick in einen Strafprozeß am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges auch Anlaß zur näheren genealogischen Beschäftigung mit einem der Prozeßbeteiligten, dem leiningisch-westerburgischen „Secretarius“ Philipp Dieter Storck.
I. Der Inquisitionsprozeß und die Hinrichtung des Asmus Gottschalck:
1. Am 7.2.1613 berichtet der Schultheiß von Hochspeyer Christoph Pflüger, zugleich Vorsitzender des niederen Gerichtsbarkeit in Hochspeyer und Inhaber der Polizeigewalt im Dorf, dem Oberkeller des Grafen von Nassau-Saarbrücken mit Amtssitz in Kirchheim (-bolanden), Philipp Arneth, von der Verhaftung eines Unruhestifters. Das Dorf Hochspeyer war Kondominium, die hohe Gerichtsbarkeit oblag den vier Grundherrn: Leiningen-Westerburg, Leiningen-Hartenburg, Nassau-Saarbrücken und die Freiherrn von Wallburg. Der Schultheiß berichtete sinngemäß: Am letzten Mittwoch [Anm.: 30.1.1613] feierte ich die Hochzeit meiner Tochter und habe meinen Nachbarn, den Gastwirt Antonj Schmied gebeten, die Hochzeitsgäste zu bewirten. Diese Gäste waren Konrad Amlinger, Bürger zu Lautern, Velten Voltz, Müller in Dürkheim, Christophel Jan, Bürger zu Lautern und Hans Keßler, Gastwirt zu Weidenthal. Im Gasthaus befand sich beim Eintreffen der Hochzeitsgesellschaft bereits der Aßmus Gottschalck von Enkenbach, der die eintreffenden Gäste als „Dieb und Schelmen gescholten Und der Schelt Wortt wegen hab ich ihn in die Betzen Kammer gethan:“ 2, 3 Der Schultheiß Pflüger fragte bei der Grundherrschaft an, was weiter mit dem Gefangenen geschehen solle.
Nachdem eine Antwort nicht erfolgte und der Asmus Gottschalck immer noch in der Betzenkammer 4 von Hochspeyer einsaß, bat Schultheiß Pflüger die Kondominiums-Herrschaften von Hochspeyer mit Schreiben vom 15.2.1613 erneut um Weisung, was mit dem Gefangenen geschehen solle, zumal Leiningen-Westerburg bereits empfohlen habe, den Gottschalck bei Übernahme der Haftkosten freizulassen 5.
Am 25.2.1613 teilt der Schultheiß der nassauischen Verwaltung in Kirchheim ergänzend mit: „Wie dan das Amt Lauttern ist in erfahrung kommen, daß der Aßmus Gottschalck in der Betzen Kammer ist[,] so haben sie mir zu endtbotten [,] ich sol ihn Verwahren dan die gefangenen zu Lauttern haben auff ihn bekannt, wie er die Galgen Ketten habe abhohlen, Und Vermeinen er habe weitter Böße Handel gethan“ 6. Er verweist zudem auf neue Erkenntnisse. Der Landschreiber des kurpfälzischen Oberamts Lautern habe auf der Durchreise durch Hochspeyer mitgeteilt, es sei inzwischen an den Tag gekommen, daß Gottschalck zwei Morde begangen habe. „So ist Kolben Keller von Seymbach [Anm.: der Keller der Herrschaft des Kolben von Wartenberg] bei mit geweß Und mir angezeigt Wie daß der Kraußenbutzer soll bekannt haben hette er … wie der Gottschalck … sie erschlagen.“ 7
Der genannte Kraußenbutzer war ein gefürchteter Räuber; er stammte aus Enkenbach und machte um 1610 die Wälder an der alten Hochstraße (1604 von Forstmeister Velmann als „Lautringer Straße“ bezeichnet) durch den Stumpfwald unsicher 8.
Nun waren ausreichende Indizien vorhanden, um nach der damals gültigen „Strafprozeßordnung“ ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.
2. Die Rechtsgrundlage für das Strafverfahren in der frühen Neuzeit, des „gemeinen Criminalprocesses“ war die Constitutio Criminalis Carolina CCC, die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532. Sie war eines der wenigen größeren Gesetzgebungswerke des Alten Reiches, durch Kaiser und Reichsstände für das ganze Reich geschaffen. Doch die Carolina war weder Kodifikation im modernen Sinne wie etwa StGB und die StPO 9. Mit der Carolina war weder der Anspruch einer umfassenden Regelung des Strafrechts, noch der Anspruch unbedingter Geltung verbunden. Das Werk regelte das materielle als auch das formelle Strafrecht nur fragmentarisch, es gebot an vielen Stellen das Ratsuchen bei Gerichten und Gelehrten und ließ den „wohlhergebrachten“ örtlichen Rechten prinzipiell den Vorrang. Dies war ausdrücklich in der Vorrede bestimmt, in der berühmten „Salvatorischen Klausel“. Allerdings sollte die Carolina eine Leitordnung sein, eine Anweisung an die häufig rechtsunkundigen Urteiler, mit der Mißbräuchen etc. entgegengewirkt werden sollte, Art 218 CCC. Tatsächlich hat die Carolina über Jahrhunderte gewirkt und wird noch anfangs des 19. Jh. unter den „Quellen des gemeinen peinlichen Rechts“ stets an erster Stelle genannt 10. Peinliche Gerichtsordnung bedeutet, daß die Verfolgung schwerer Straftaten geregelt wird, solcher, die mit Pein verursachenden körperlichen Strafen zu ahnden sind 11. Die Carolina unterscheidet zwei Verfahrensarten: den alten Akkusationsprozeß (Anklageverfahren, d.h. der Geschädigte leitet das Strafverfahren selbst ein), und das neue (aus dem Kirchenrecht stammende) Inquisitionsverfahren d.h. die amtliche Untersuchung von Amts wege nach Bekanntwerden einer Straftat 12.
Auffälligerweise ist das Ermittlungsverfahren in der Carolina nicht sehr ausführlich geregelt. Sowohl über das Verfahren bis zur evtl. Anwendung von Zwangsmaßnahmen, vor allem der Folter, als auch über die Art und Weise der im Einzelfall durchzuführenden Zwangsmaßnahmen, ist wenig enthalten. Es geht in der Untersuchung darum, herauszufinden, was sich hinter dem anfänglichen Verdacht in „Wahrheit“ verbirgt, ob die Straftat tatsächlich verübt wurde und ob der Verdächtige tatsächlich der Missetäter ist, vgl. Art. 6 CCC. Zu diesem Zweck sind Zeugen und vor allem der Verdächtige selbst zu vernehmen, sei es gütlich, sei es mit anderen Mitteln 13.
Sofern die Untersuchung zur Bestätigung des Verdachts geführt hat, schließt sich an dieses Ermittlungsverfahren der Verfahrensabschnitt an, der den Höhepunkt und Abschluß des Strafverfahrens bildet, der „Endliche Rechtstag“. Es handelt hierbei um eine öffentliche Gerichtsverhandlung in althergebrachten Formen, nicht jedoch um eine Hauptverhandlung im modernen Sinne. Es findet nämlich keine „Verhandlung“ stat, sondern ein bloßer Austausch bestehender Formeln, die in der Carolina vorgeschrieben sind. Die Rolle des Beschuldigten ist darauf beschränkt, sein Geständnis aus dem Ermittlungsverfahren zu wiederholen. Das Urteil, das auf dem Endlichen Rechtstag verlesen wird steht vorher fest.. Es wird bereits am Ende des Ermittlungsverfahrens in gemeiner „Vnderredung“ von demselben Gericht gefällt, das zuvor für die Ermittlungen zuständig war 14.
Ermittlung und Rechtsprechung lagen also bei den selben Personen, beim Gericht. Seine Mitglieder sind zugleich Repräsentanten der örtlichen Herrschaft. Damit in Zweifelsfällen oder bei zwingend bei Leibesstrafen (nicht bei Todesstrafen) ein Rechtsgutachten eingeholt werden kann, muß jeder Verfahrensgang im Ermittlungsverfahren streng protokolliert werden 15.
Das Beweisrecht enthält detaillierte Regeln (entgegen der heutigen StPO). Nach Art. 22 CCC darf ein Beschuldigter nur dann zu einer peinlichen Strafe verurteilt werden, wenn er entweder ein Geständnis abgelegt hat oder seine Täterschaft durch zwei Tatzeugen bestätigt wird. Vorrang hat jedoch das Geständnis, zu dessen Erlangung unter bestimmten Voraussetzungen, welche von der Carolina genau vorgeschrieben werden, Folter eingesetzt werden darf. Die Anwendung der Folter wird vom Vorliegen bestimmter Indizien für die Täterschaft abhängig gemacht, man spricht dabei von der Indizienlehre der Carolina 15. Da das Gericht jedoch die „Wahrheit“ von Amts wegen zu erforschen hatte, durfte es sich für eine Verurteilung mit mit einem unmittelbar unter der Folter abgelegten Geständnis begnügen. Dem Gericht mußte vielmehr die Wiederholung des Geständnisses außerhalb der Folter vorliegen, die sog. Ratifizierung des Geständnisses, und das Gericht mußte die Einzelheiten des Tathergangs in Erfahrung gebracht haben, die sog. Verifizierung. Nur dann, wenn in der Schilderungen der Einzelheiten der Tat „solche wahrheyt wirdt die keyn vnschuldiger also sagen vnnd wissen kundt“, durfte das Geständnis geglaubt und der Verdächtige als Täter bestraft werden 16.
Die Aktenversendung: Die CCC schreibt an vielen Stellen, vor allem in Art. 219, das Ratsuchen, d.h. die Einholung eines Rechtsgutachtens bei Hohen Schulen oder anderweitigen Rechtsverständigen vor 17, vor allem in schwierigen oder zweifelhaften Fällen. Seit dem 17. Jh. lehrte man, daß jedenfalls zur Entscheidung über die Anwendung der Folter und zur endgültigen Entscheidung über die Schuld- und Straffrage die Akten an einen auswärtigen Spruchkörper verschickt werden mußte, zumindest dann, wenn es sich um eine Strafsache handelte, die mit Leibes- oder Lebensstrafen bedroht war, oder wenn das untersuchende Gericht nicht mit rechtsgelehrten Personen oder nur mit einem Richter besetzt war 18.
Die Carolina gestattete die Anwendung der Folter nur bei „redlich, vnd deshalb genugsame anzeygung vnnd vermutung von wegen derselben missethat“, Art. 6 CCC, d.h. bei Indizien die modern gesprochen, einen hinreichenden Tatverdacht begründeten. Diese mußten von zwei „guten“ Zeugen bekundet werden (Art. 23 CCC). Nach der herrschenden gemeinrechtlichen Lehre sollte es sich bei der Hexerei, ebenso wie beim Majestätsverbrechen, bei der Münzfälschung und beim Raubmord um ein Ausnahmeverbrechen handeln, bei dem gerade diese Vorschriften nicht zwingend einzuhalten waren. Wenn es um besonders schwere Delikte gehe, so der berühmte Jurist und Professor Carpzov in seiner Practica noca (1635), dürfe wegen der Außerordentlichkeit des Verbrechens (sog. Lehre vom „crimen exeptum“) über das Recht hinausgegangen werden, und zwar nicht nur bei der Bestrafung sondern auch „in procedendo“. Bei schweren Verbrechen, heißt es in einer Quelle aus dem frühen 17. Jh., solle der Richter die Tortur unbedenklich anwenden, weil bei verborgenen und schweren Verbrechen wie der Hexerei schon weniger deutliche Indizien die Anwendung der Folter rechtfertigen 19.
3. Auf dieser Rechtsgrundlage wurde aufgrund der gegen Asmus Gottschalck erhobenen schweren Vorwürfen die Untersuchung nach dem Inquisitionsverfahren eingeleitet. Am Mittwoch, dem 3.3.1613 trafen abends die Vertreter der vier Gemeinsherren des Kondominiums Hochspeyer zusammen: „Nemlich wegen Leiningen Westerburg Herr Philips Dietherich Storck Secretariy, von wegen Naussaue Saarbrücken Heidenreich Tentor Schuldiener zue Kirchheim, Leiningen Hartenburges halber Herr Johann Jakob Schorr [Anm.: von Haßel] Amptmann undt Walbersmuchen Theils [Anm. Freiherrn von Wallbrunn] Herr Justus Schnell Keller zu Beyersheim und ist darauff den volgenden Donnerstag erstlich daß Güttlich darnach das Peinlich Examen …. vorgenommen“ 20. Hierzu wurden dem Gefangenen in der „Interrogatoria“, d.h. der „gütlichen“ Befragung 17 Fragen vorgelegt, die zusammen mit dem Antworten protokolliert sind. Insbesondere wurde er dazu vernommen, ob er zusammen mit dem (inzwischen im Gefängnis in Kaiserslautern verstorbenen) Kraußenbutzer an mehreren Mordtaten beteiligt gewesen sei, so u.a. ob er mit diesem versucht habe, den früheren Schultheißen von Alsenborn und jetzigen Keller vom Sembach zu ermorden; des weiteren ob er nicht gemeinsam mit dem Kraußenbutzer „uff dem Schorlenberg bey der Dicken Eichen bey der Wattenheimer Sand Kehr nach einem von Otterburg geschoßen, Ihme die Satteldasch mit Geldt nehmen wollen, aber darüber verjagt worden“ 21.
Gottschalck bestritt im Verhör die ihm gemachten Vorwürfe. Darauf erging durch die vier Gerichtsherrn folgender Beschluß: „Darauff das Gütlich Examen, weil er Pertinaciter geleugnet undt gleichwohl starke Inticia undt etliche …. klarer Beweiß vorhanden gewesen, underlaßen Undt gradatim Zum Peinlichen Examine mit ihme geschritten worden, in welchem Er ausgesaget ….“ 22.
Das nunmehr angeordnete „Peinliche Examen“ wurde durch den vorsorglich zugezogenen Scharfrichter aus Worms durchgeführt. Da zu wurden dem Deliquenten zunächst die Folterwerkzeuge gezeigt und ihm die Tortur angedroht. Da dies Gottschalck nicht zum gewünschten Geständnis veranlaßte, wurde zur Folter geschritten, bei der stufenweise immer schlimmere Qualen beigefügt werden. Gottschalck wurde während des Verhörs insgesamt viermal gefoltert und sagte dabei, wie nicht anders zu erwarten, detailliert aus 23.
Der 22jährige, aus Enkenbach stammende Aß Gottschalck, Sohn des vor drei Jahren verstorbenen Thomas Gottschalck, war früh in Verbindung mit dem berüchtigten Straßenräuber und Mörder Kraußenbutzer gekommen. Kraußenbutzer selbst konnte nicht mehr vernommen werden, da er bereits zuvor in der Haft in Kaiserslautern gestorben war. Gottschalck räumte ein, mit diesem zusammen diverse Straftaten begangen zu haben. Er bekundete er habe 1 ½ Jahre zuvor gemeinsam mit dem Kraußenbutzer einen Raubmord im, Hertlingshauser Wald bei St. Niclaus 24 begangen. Aus der Beute hatte er 4-5 Gulden erhalten. Er gestand weiter, vor einem Jahr an der Ermordung eines Bauern in der Nähe von Weinheim an der Bergstraße beteiligt gewesen zu sein. Er selbst habe sich an dem Mord nicht begangen, aber geholfen, die Leiche zu verscharren. Von der Raubbeute habe er drei Gulden erhalten. Auch bei einem dritten Mord im Ramser Wald „auf der Scheyden“ war er anwesend, leugnete aber, die Tat begangen zu haben. Hierbei waren Gottschalck selbst, der Kraußenbutzer, der Räuber Antonius Ackermann und ein berüchtigter vielfacher Mörder, Jakob Doll beteiligt. Diese vier Straßenräuber lauerten einen „Leinenkrämer“ aus Enkenbach auf, der gerade zur Wormser Pfingstmesse reiste, um Waren zu kaufen und hierzu eine entsprechende größere Geldmenge bei sich trug. Gottschalck erhielt aus der Beute 30-50 Gulden. Gottschalck gab weiter zu, daß er an einem Raubüberfall auf einen Otterberger Bürger im Wald auf dem Schorlenberg beteiligt war. Er befand sich auch hierbei in Gesellschaft von 4-5 gefährlichen Spießgesellen, von denen einer mit einem Gewehr bewaffnet war. Als der Otterberger Bürger vorbeiritt, schoß der Räuber Hans Hartmann aus Diemerstein nach ihm, der Angegriffene erlitt aber nur einen Streifschuß und konnte durch seine laute Hilferufe sein Leben retten. Hierdurch wurden einige Holzfuhrleute aufmerksam, eilten herbei, worauf die Raubgesellen die Flucht ergriffen 25.
4. Durch das aufgrund der Folter erzwungene Geständnis lagen nach damaliger Rechtslage nunmehr die Voraussetzungen für das strafrechtliche Malefizverfahren 26 vor. Die vier Inhaber der Gerichtsbarkeit ließen die Anklageschrift erstellen und beauftragten den „Gemeinen Herrschafts-Advokaten“ Dr. Juchart aus Speyer mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens. Dieser kam zum Ergebnis, den Gottschalck als vorsätzliche Mörder zu bestrafen 27. Das Schöffengericht wurde einberufen. Um Kosten zu sparen, entschieden die Gemeinherrn nur das halbe Gericht zur Entscheidungsfindung heranzuziehen. Den Vorsitz führte als Gerichtsschultheiß Christoph Pflüger, der reichste Bauer in Alsenborn. Zu Schöffen wurde bestellt Matthes Bach, Hans Münch, Hans Braun, Velten Klein, Georg Esch und Antonius Pflüger, sämtlich aus Alsenborn. Die Anklage vertrat der Fiskalprocurator Hans Nicolaus Conrad aus Worms, Verteidiger des Angeklagten war Nicolaus Schwab aus Dürkheim. Als Scharfrichter fungierte Meister Lehnert aus Worms 27. Die Hauptverhandlung wurde für den 3.5.1613 in Hochspeyer anberaumt, mußte jedoch auf den 11.5.1613 vertagt werden, weil der nassauische Oberkeller Arneth zum Termin nicht erschienen war. Die erneute Verhandlung am 11.5.1613 endete erwartungsgemäß mit dem Todesurteil. Die Hinrichtung fand noch am gleichen Tag statt, Gottschalck wurde anschließend auf das Rad geflochten.
5. Damit war der Fall jedoch nicht erledigt. Es kam vielmehr zwischen den beteiligten Herrschaften des Kondominiums Hochspeyer zu Streitigkeiten über die anteilige Kostentragung, zumal die hohen Gesamtkosten sich auf insgesamt 204 Gulden beliefen. Dabei war der Gerichtstag des Malefizgerichts besonders teuer. Leiningen-Westerburg, das zu 3/6 am Kondominium beteiligt war, sollte anteilig 50% der Kosten tragen. Hiergegen erhob der leiningisch-westerburgische „Secretarius“ Philips Dietrich Storck Einspruch. Er warf dem nassauischen Oberkeller Philipp Arneth vor, durch sein Ausbleiben am 3.5.1613 die hohen Auslagen verschuldet zu haben. Wäre Arneth nämlich anwesend gewesen, hätten mindestens 100 Gulden erspart werden können. Der Oberkeller Arneth konterte in scharfer Form, er wüßte nicht, wieso Nassau die Schuld an den großen Kosten hätte, und betonte ironisch, vielleicht weil er, Arneth, wegen seiner Abwesenheit sich nicht an den vielen großen Reden habe beteiligen können, die damals gehalten wurden. Aber er könne heute froh sein, nicht dabei gewesen zu sein, sonst hätte er sich vielleicht das Zwerchfell herausgeredet und gewisse Ärzte aufsuchen müssen, die noch größere Kosten erfordert hätten. 29
Um seinem Zorn Luft machen, ging Arneth in recht beleidigender Weise gegen den leiningisch-westerburgischen Secretarius Storck vor. Diesem sei nämlich die am 3.5.1613 eingenommene Wegzehrung besonders gut bekommen. Storck sei bei seiner Abreise so betrunken gewesen, daß er sich kaum habe auf dem Pferd halten können. Zweimal sei er von Pferde herabgefallen und hätte mit fremder Hilfe hinaufgehoben werden müssen. 29 Sollte es der eingangs genannte „gute Pfalzwein“ gewesen sein ?
Wie der anschließende Streit um die Prozeßkosten endete, ist in den Akten nicht überliefert.
II. Der Secretarius Philipp Dietrich Storck und seine Familie:
Storck stammte aus alter pfälzischer „Beamten“-Familie. Er wurde 1564 Bergzabern geboren und starb 1643 Grünstadt. Er ist der Sohn von Dieter Storck und der aus alter Südpfälzer Familie stammenden Amalie Lorch. Sein Großvater der ebenfalls Dieter Storck hieß, war mit Anna von Boos verheiratet, der Tochter des Johannes von Boos (ca. 1446 – 1504) und der Kunigunde von Moscheln (ca. 1448 – 1504). Diese war die Tochter des Wolff von Moscheln 30, Amtmann auf Burg Lichtenberg bei Kusel und der Margarethe Blick von Lichtenberg. Johannes von Boos war seit 1475 Landschreiber von Neukastel, Wegelnburg, Trifels und Scharfenberg in der Herrschaft Pfalz-Zweibrücken. 31, 32
Storck wird in der Prozeßakte als „Secretarius“ bezeichnet, ebenso beim „Gemeinen Tags“ zu Hochspeyer vom 12.6.1626, d.h. des Gerichtstags in Hochspeyer, an welchem die Vertreter der am Kondominium Hochspeyer beteiligten Herrschaften anwesend waren, darunter „wegen Leiningen Rixingen Juncker Johan Joseph Löterer von Zög Oberambtmann und Philips Dietrich Storck Secretarius“. 33Auch im Grünstadter Einwohnerverzeichnis von 1608 wird er als "Philips Dietherichs Storck, Secretarius" benannt. 34
Storck wird auch als leiningisch-westerburgischer Rat bezeichnet 35 und hatte in Heidelberg zwischen 1591 und 1595 Jurisprudenz studiert. Philippus Theodoricus Storck, Tabernaemontanus ist am 4.8.1595 mit einer studentischen Widmung und Sentenz im Stammbuch des Andreas Forstenhäuser aus Speyer vertreten. 36
Philipp Dietrich Storck heiratete am am 30.4.1605 in Neuleiningen die Anna Elisabeth Nebelthau († 23.10.1635 Neustadt), Witwe des Pfarrers in Wachenheim/Pfrimm, Martin Weidmann 37. Die Kirchenbucheintragung über ihre zweite Eheschließung besagt: Es heirateten am 30.4.1605 Anna Elisabetha Nebelthau, die "weyland Herrn Johann Nebelthau, der Heiligen Schrift Lizentiaten und Rectors zu Neustadt uff der Hard Tochter und Herrn Hans Martin Weidmanns selig, gewesenen Pfarrers zu Wachenheim uff der Pfrimm nachgelassene Wittib war". 38
Der genannte Johannes Nebelthau (1541 Schneeberg / Sachsen - 19.5.1600 Neustadt / Weinstraße) war Sohn des Silberbrenners Hans Nebelthau, 1559/61 Alumnus der Fürstenschule Grimma; 1561-1564 Studium Universität Leipzig; 1564 Promotion zum Bacc. art. an der Universität Leipzig, 25.1.1566 Promotion zum Mag. art. an der Universität Leipzig, 1573 Promotion zum Bacc. theol. an der Universität Leipzig. 39. Er war Lizenziat der Heiligen Schrift und von 1573-1577 Professor für Hebräisch an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, anschließend Altphilologe an der Universität Heidelberg. Nach der Vertreibung der reformierten Professoren von der Universität Heidelberg wurde er von Pfalzgraf Johann Casimir zum Professor am Casimiranum Neustadt, der ersten pfälzischen Universität, berufen und und erster Rektor am neugegründeten Gymnasium Neustadt 40.
Kinder aus der Ehe des Philipp Dieter Storck mit Anna Elisabeth Nebelthau waren: Ludwig Casimir Storck (geboren 1608) und Johann Jakob Storck (geboren 1611). Von Maria Katharina Stock (1657-170), der Tochter des Ludwig Casimir Storck und der Anna Catharina Bieger, verläuft die direkte genealogische Linie über die Pfarrerfamilien Lex, Fröbelius und Rühle zur Papiermüllerdynastie Friedrich in Eisenberg und weiter zu den Papierfabrikanten Mann in Ebertsheim 41 und weiter bis zum Autor dieses Artikels. 42
Genealogische Übersicht:
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Anmerkungen:
1. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII; vgl.. Ludt, Wilhelm: Das einstige Schultheißenamt in den leiningischen Dörfern Hochspeyer und Frankenstein; in: Heimatkalender Stadt und Landkreis Kaiserslautern1975, S. 78-84 (auch zu Prozeß und Hinrichtung gegen Asmus Gottschalck 1613 a.a.O., S. 83); Ludt, Wilhelm: Hochspeyer. Geschichte eines Dorfes, 2. Auflage 1979, S. 71 ff.
2. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 2
3. Ludt, Wilhelm: Hochspeyer. Geschichte eines Dorfes, 2. Auflage 1979, S. 71
4. Betzenkammer, pfälzische Bezeichnung für das Dorfgefängnis (vgl. Christmann, Ernst u.a.: Pfälzisches Wörterbuch, Bd. 1, Wiesbaden 1965-1968, S. 771
5. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 3
6. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 4
7. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 4; Ludt: Hochspeyer. Geschichte eines Dorfes, 2. Auflage 1979, S. 71
8. vgl. Schnabel, Berthold: Steinkreuze an der alten Hochstraße - Fünf Male erinnern westlich Wattenheim an Unfälle oder Verbrechen; Heimatjahrbuch 1988 Landkreis Bad Dürkheim, S. 118 ff
9. Ignor, Alexander: Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846, S. 41
10. Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 42
11. Ignor: Strafprozeß a.a.O., S. 43
12. Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 60
13. Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 60-61
14. Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 61
15. Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 61
16. Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 67
17. Buchda:, G.: „Aktenversendung“; in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. I Sp. 85-87; Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 108
18. Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 109
19. Ignor: Strafprozeß, a.a.O., S. 102-103
20. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 6
21. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 6-7
22. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 7r-8
23. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 8r-12; Ludt: Hochspeyer. Geschichte eines Dorfes, 2. Auflage 1979, S. 72
24. Die Ortsangabe “sant Nicklaß” kommt erstmals 1556 bei einem Grenzumgang des Stumpfwaldes vor und lebt heute in dessen Waldabteilung “Alter St. Nikolaus” fort. Vielleicht gehörte das Waldstück einmal zum Laienaltar des Zisterzienser(innen)klosters Ramsen, der diesem Heiligen geweiht war, möglicherweise hält es aber auch die Erinnerung an einen längst verschwundenen Bildstock mit der Darstellung des hl. Nikolaus wach. Im 18. Jahrhundert bezeichnete man als “St. Nicolaus” einen bestimmten Punkt an der Hochstraße, nämlich den Standort des “Combekreuzes”. Von “St. Nikolaus an der Platte” führte die alte Hochstraße nach Osten steil durch die wegen ihrer schwierigen Wegeverhältnisse berüchtigte Eishohl hinab (vgl. Schnabel, Berthold: Steinkreuze an der alten Hochstraße - Fünf Male erinnern westlich Wattenheim an Unfälle oder Verbrechen; Heimatjahrbuch 1988 Landkreis Bad Dürkheim, S. 118 ff).
25. LA Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 30-33r; Ludt: Hochspeyer. Geschichte eines Dorfes, 2. Auflage 1979, S. 72-73
26. von lat. maleficium = Übeltat; Malefizgericht ist das strafrechtliche Hochgericht (vgl. zum Begriff: Speer u.a: Deutsches Rechtswörterbuch, Weimar 19i92-1996, Bd. 9, S. 67 r. Sp.).
27. A Speyer Best. A2 / 1178/ 9 VII Bl. 77
28. vgl. zusammenfassend Ludt: Hochspeyer. Geschichte eines Dorfes, 2. Auflage 1979, S. 74
29. vgl. zusammenfassend Ludt: Hochspeyer. Geschichte eines Dorfes, 2. Auflage 1979, S. 80
30. vgl. Unterlagen Regula, bei Pfälzisch-Rheinische Familienkunde, XIV RE 3.1 Boos von Waldeck; Stuck: Verwaltungspersonal im Herzogtum Zweibrücken, a.a.O., S. 111)
31. vgl. Eid, Ludwig: Der Hof- und Staatsdienst im ehemaligen Herzogtums Pfalz-Zweibrücken; in Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, Band 21, 1897; Stuck, Kurt: Verwaltungspersonal im Herzogtum Zweibrücken, a.a.O., 1993, S. 77; Schulz, Wolfgang: „Das Zinsbuch gein Wegelnburg“. Eine spätmittelalterliche Bestandsaufnahme herrschaftlicher Gerechtsamen im pfalz-zweibrückischen Amt Wegelnburg; in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz, 110. Band, Speyer 2012, S. 38 Anm. 10; vgl. Schuh, Waltraud: Die Familien von Franken, von "Berckull" und von (der) Spindelwag; in: Saarländische Familienkunde Bd. 10, 2006, S. 368, 369, 375
32. Familienstammbaum erstellt zur erbrechtlichen Regelung 1643 im Familienarchiv Lex (Hinweis von Herrn Eike Schößler). Das Familienarchiv Lex befand sich früher in Köln und wurde, weil nach dem Zweiten Weltkrieg viele Familienmitglieder nach Baden-Württemberg zogen, 1950 ins Hauptstaatsarchiv Baden-Württemberg in Stuttgart verlagert, wo es sich als Depositum noch heute befindet (vgl. Landesarchivs Baden-Württemberg, Best. P3 Deposita Familienarchiv Lex).
33. vgl. LA Speyer Best. A2 Nr. 1178/9 XIII, fol. 2: beglaubigte Abschrift von 1663
34. Lampert, Walter: Geschichte von Grünstadt, 1992, S. 298
35. vgl. Orth, Oberamtsrichter: „Pfälzische Familienkunde. Stammbaum einer Familie v. Bos, in: Die Pfalz am Rhein, Heft 16, S. 515
36. das Stammbuch befindet sich in der Nürnberger Stadtbibliothek: Solg. Ms. 12. 8°, fol 199; vgl. Schnabel, Werner Wilhelm: Die Stammbücher und Stammbuchfragmente der Stadtbibliothek Nürnberg, 3 Bde, Wiesbaden 1995 [StBN], Nr. 26/138).
37. Würth, Johannes: Heimatbuch für Wachenheim an der Pfrimm, 1930, S. 314
38. Zitat nach Würth: Wachenheim / Pfrimm, a.a.O., S. 314
39. vgl. Hein/ Junghans, Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409 bis 2009, S. 244 f.
40. vgl. Biundo: Pfälzisches Pfarrerbuch, a.a.O., S. 325 Nr. 3775; Weidmann, Werner: Schul-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Pfalz; Band 1, a.a.O., S. 54 Anm. 161; Breth, Gustav: Die Neustadter Hochschule (Collegium Casimirianum), in: Pfälzer Heimat 1978, S. 88; Casimirianum: 400 Jahre Casimirianum, Universität in Neustadt. Reprografischer Nachdruck, als Beitrag zum 400jährigen Jubiläum des Casimirianums, neu herausgegeben von der Bezirksgruppe Neustadt des Hist. Vereins. Neustadt 1987, mit Besprechung in Pfälzer Heimat 1978, 37
41. vgl. Biundo: Pfälzisches Pfarrerbuch, a.a.O.; Fink: Familiengeschichte Mann, a.a.O.; Weber, Friedrich Wilhelm: Die Geschichte der pfälzischen Mühlen besonderer Art, Otterbach 1981
42. der Secretarius Philipp Dietrich Storck ist der 10fache Urgroßvater des Autors
[Autor: Eberhard Ref, Sebastian-Bach-Str. 12, 67061 Ludwigshafen]